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Schlagwort: Alltag

Nach dem Sturm

Es sind die seltsamen Zeiten, die das Schreiben vorübergehend verändern. Für einige Stunden, Tage oder Wochen ist es nicht mehr Malerei. Es wird Erzählung und Chronik. Das Bedürfnis, festzuhalten und zu bewahren, nimmt auf einmal einen anderen Charakter an. Es ist nicht mehr ästhetischer Natur. Es wird persönlicher, journalistischer, sozusagen „historischer“. Es wird Zeugnis. Während der Alltag stillsteht, die Uhr keine Rolle mehr spielt und Pläne ins dumpfe und farblose Nichts der Dringlichkeit verschwinden, bemächtigen sich die Ereignisse der Worte und Zeilen, schaffen in unseren Erinnerungen neue, ungewollte Räume, beenden Geschichten, vernichten Biographien. So der 28. Juli in Münster. In…

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Zuhause

Lange Zeit hatte ich die Orte, an denen ich schrieb, nur von innen betrachtet. Idealerweise sollten sie so eingerichtet sein, wie ich es für richtig hielt, meinen ästhetischen Erwartungen genügen, und bis zu einem gewissen, weit weniger entscheidenden Grad auch praktische Aspekte erfüllen. Allerdings war sowohl das eine als auch das andere kaum möglich, denn meine Schreibplätze waren immer eng bemessen. Nachdem ich mein Studentenzimmer verlassen hatte – diesen Raum hatte ich geliebt, und ich verbinde heute noch meine schönsten Erinnerungen mit ihm –, musste ich viele Kompromisse eingehen. Dreizehn Jahre lang war mein sogenanntes Büro eine winzige Ecke in…

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Wenn alte Freunde sterben

Freundschaften zu pflegen, ist nicht immer einfach. Im Laufe der Zeit ändern sich Dinge, Orte und Menschen. Werte und Prioritäten, Vergangenheit und Zukunft kollidieren zuweilen. Geschichten scheinen an Bedeutung zu verlieren, Gemeinsamkeiten verblassen. Selten und immer seltener begleiten einen Freunde wirklich ein Leben lang. Dies ist umso mehr der Fall, wenn man einen eher künstlerischen Beruf ergreift. Unkonventionelle Tagesabläufe, die egozentrische Konzentration auf für Außenstehende kaum nachvollziehbare Inhalte und die kompromisslose Selbstaufgabe, die mit den paradoxen Verpflichtungen eines Freien einhergehen, sind wenig förderlich. Missverständnisse und ausgelassene Gelegenheiten treiben in ewig fruchtbar gewähnte Böden unmerklich aber stetig Risse, bis aus Dialog…

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Von Neuanfängen

Es begann mit einem Radiergummi und einem Bleistift. Kurz vor Beginn eines jeden Schuljahres bekam ich von meinen Eltern ab der 2. Klasse – neben den notwendigen Heften, Büchern und sonstigen vorgeschriebenen Utensilien – immer einen neuen Bleistift und ein neues Radiergummi geschenkt. Oft waren die bisherigen kaum benutzt und hätten durchaus für ein weiteres Jahr genügt, aber es spielte keine Rolle. Dieser Brauch, der nicht zuletzt in ihrer Überzeugung gründete, dass man nur mit guten Werkzeugen gute Arbeit leisten könne, sollte für mich auch eine Art vertragliche Verpflichtung sein, im Gegenzug die besten Ergebnisse nach Hause zu bringen. Tatsächlich entging mir…

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Gewittertag

Für den Schreibenden ist ein Gewittertag in erster Linie ein Urlaubstag: Der Computer bleibt zu seinem eigenen Schutz ausgeschaltet, eMails müssen geduldig im elektronischen Briefkasten warten. Die Arbeit findet auf Papier statt, das sinnliche Kratzen von Kugelschreiber, Bleistift und Füller ersetzt das nervös fordernde Klicken der Tastatur – das Leben tut es der wärmemüden Luft gleich und atmet durch. Es ist die Gelegenheit, vernachlässigte private Korrespondenz zu erledigen, für die Blogs einen Veröffentlichungsplan aufzustellen, eine Liste der unumgänglichen Weihnachtsgeschenke zusammenzustellen – oder auch Artikel auf Vorrat zu verfassen, damit die Blogs in arbeitsintensiveren Zeiten nicht ganz verwaist bleiben. Alle diese Kleinigkeiten, die…

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Der Briefkasten

In früheren Jahren habe ich meinen Briefkasten geliebt. Er war immer liebevoll, treu und zuverlässig: Jeden Tag aufs Neue – außer an den nicht zuletzt deshalb verhassten Sonntagen – war er voll, jeden Tag aufs Neue brachte er Freude in mein Leben. Er barg jede Menge Briefe aus allen möglichen Ländern, bunte Postkarten und gefütterte Umschläge mit allerlei Überraschungen. Er war mein Reisebüro, meine Wärmespendemaschine und mein Sozialleben. Ebenso liebte ich den Briefkasten, der vor dem winzigen, nur wenige Schritte von meiner damaligen Wohnung entfernt gelegenen Postamt stand: Er verband mich mit allen Menschen, die mir etwas bedeuteten, er war…

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Warum die Jahreszeiten für Künstler so wichtig sind

Wer regelmäßig im Blog vorbeischaut, merkt bald, dass Einträge nicht selten das Wetter und die Jahreszeiten zum Thema haben. Leicht könnte der Eindruck entstehen, meteorologische Beschreibungen seien mein eigentliches Betätigungsfeld. Dass solche Dinge in der Tat eine große Rolle spielen, hat mit den eigenen Gesetzen des Schreibprozesses zu tun. Zum einen liegt es in der Natur der Sache, dass – von Recherchen abgesehen – der Vorgang des Schreibens sich mehrheitlich in den eigenen vier Wänden abspielt. Wer ernsthaft schreibt, verlässt das Haus manchmal über Wochen oder Monate nicht oder nur sehr wenig, d.h. nur sehr sporadisch und nur sehr kurz.…

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Grün auf Schwarz

Als ich sie zum ersten Mal bemerkte, war es bereits am späten Abend, und die Terrasse, die den Töpfchengarten beherbergt, war in Dunkel getaucht. So hielt ich die zwei kleinen grünen Punkte eher für eine Lichtreflexion auf der schwarzen Erde, die im einsetzenden Frost feucht leuchtete. Dann vergaß ich, bei Tageslicht nachzusehen. Doch sind sie wirklich da, wie ich ein paar Tage später feststellte. Die ersten Spitzen der Schneeglöckchen strecken sich aus ihren Töpfen und begrüßen das Neue Jahr. Zu den ersten Trieben, die ich an jenem Abend entdeckte, haben sich mittlerweile weitere gesellt. Hat das Warten auf den Frühling,…

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Schneetreiben

Die Stadt versinkt im Schnee. Zum ersten Mal seit Jahren hat es drei Tage lang fast ununterbrochen geschneit. Eine so dichte weiße Decke hatte Münster lange nicht mehr gesehen. Klein, aber beharrlich und fleißig haben sich die Flocken bis in jede noch so kleine Ecke gewagt, bis ihnen nichts mehr widerstand. Auf den pinkfarbenen Alpenveilchen, die auf der Terrasse seit September reich und unaufhörlich blühten, den antiken Regalen des Töpfchengartens und dem Stroh, das die in der milden Novembersonne zu früh gekeimten Tulpen schützt, bilden sie nun ein malerisches Bild. Und doch vermag es die Schönheit des Augenblicks nicht ganz,…

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