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Zuhause

Lange Zeit hatte ich die Orte, an denen ich schrieb, nur von innen betrachtet. Idealerweise sollten sie so eingerichtet sein, wie ich es für richtig hielt, meinen ästhetischen Erwartungen genügen, und bis zu einem gewissen, weit weniger entscheidenden Grad auch praktische Aspekte erfüllen.
Allerdings war sowohl das eine als auch das andere kaum möglich, denn meine Schreibplätze waren immer eng bemessen. Nachdem ich mein Studentenzimmer verlassen hatte – diesen Raum hatte ich geliebt, und ich verbinde heute noch meine schönsten Erinnerungen mit ihm –, musste ich viele Kompromisse eingehen. Dreizehn Jahre lang war mein sogenanntes Büro eine winzige Ecke in einem insgesamt 12 m² kleinen Küche-Bibliothek-Ess- und Wohnzimmer – und dies waren nicht einmal meine schlechtesten Arbeitsbedingungen. Aber ganz gleich, wie unvermeidlich ungeeignet oder überfüllt diese Apartments waren, ich machte mir über das Gebäude, das sie jeweils umschloss, nie Gedanken. Bis ich vor zehn Jahren in diese Räumlichkeiten zog.
Von diesem Augenblick an wurde alles anders. Die Wohnung schien mit ihren 74 m² einfach riesig und war zudem hervorragend geschnitten. Endlich konnte ich die Möbel kaufen, die ich mir immer gewünscht hatte, endlich konnte ich mich mit Dingen umgeben, die ich liebte. Endlich konnte Ordnung herrschen, endlich kam ich an Unterlagen heran, ohne einen dreistöckigen Stapel Umzugskartons auseinandernehmen zu müssen. Endlich stand mein Archiv in einem Keller und bildete nicht mehr das wackelige Kopfende meines Bettes. Endlich hatten all meine Bücher Platz. Und unerhoffte 4 m² Balkon mit einem wunderbaren Blick auf einen benachbarten natürlichen Garten, der einen vergessen lassen konnte, dass man sich mitten in der Stadt befand, boten für den Sommer einen märchenhaften Arbeitsplatz im Freien.
Im Laufe der Jahre entdeckte ich, dass ein Ort des Schreibens nicht nur aus Räumen besteht und das Gebäude selbst eine ungeahnte Bedeutung einnehmen kann. Ich erlebte Kabelbrände, einstürzenden Putz und lockeres Mauerwerk, Überschwemmungen durch undichte Fenster und brüchige Wände, instabil gewordene Böden und unsichere Stromleitungen. Ich erlebte, wie es ist, neun Monate im Jahr Tag für Tag am Schreibtisch zu frieren, wenn es keine noch so fleißige Heizung mit den chronisch von Rissen und Spalten durchsetzten Wänden aufzunehmen vermag. Ich erlebte, wie Erdachtes sinnlos wurde und wie ein großer Sessel etwa, der als Lese- und Korrekturecke fungieren sollte, bis heute wegen des trotz aller Bemühungen nicht abzustellenden Durchzugs nicht oder höchstens an wenigen Tagen im Hochsommer genutzt werden konnte. Das Gefühl, zu Hause unter nach menschlichem Ermessen meteorologisch normalen Umständen geschützt zu sein, verschwand immer mehr, und im selben Maße wurde die Frage, ob diese Unsicherheit dem Schreiben eher abträglich ist, oder ob die überspitzte Empfindsamkeit, die sie bedingt, eher zu neuen Texten führt, immer präsenter.
Ich weiß nicht einmal, ob ich mich je wieder in irgendeinem Haus sicher fühlen könnte. Vielleicht habe ich diesbezüglich einfach meine Unschuld verloren. Und doch ertappe ich mich hie und da dabei, mir vorzustellen, wie es wohl wäre, mit einem Gefühl der Geborgenheit von einem warmen Zimmer heraus, dessen Fenster nicht beim kleinsten Windhauch in ihrer Verankerung beben, einen Schneesturm, einen Hagelschauer oder einen kräftigen Sommerregen zu beobachten.