Freundschaften zu pflegen, ist nicht immer einfach. Im Laufe der Zeit ändern sich Dinge, Orte und Menschen. Werte und Prioritäten, Vergangenheit und Zukunft kollidieren zuweilen. Geschichten scheinen an Bedeutung zu verlieren, Gemeinsamkeiten verblassen. Selten und immer seltener begleiten einen Freunde wirklich ein Leben lang. Dies ist umso mehr der Fall, wenn man einen eher künstlerischen Beruf ergreift. Unkonventionelle Tagesabläufe, die egozentrische Konzentration auf für Außenstehende kaum nachvollziehbare Inhalte und die kompromisslose Selbstaufgabe, die mit den paradoxen Verpflichtungen eines Freien einhergehen, sind wenig förderlich. Missverständnisse und ausgelassene Gelegenheiten treiben in ewig fruchtbar gewähnte Böden unmerklich aber stetig Risse, bis aus Dialog Entfremdung und schließlich Schweigen wird. Aber auch unter herkömmlicheren Lebensbedingungen sind – nicht zuletzt durch die Schnell- und Kurzlebigkeit der allen Smileys zum Trotz zunehmend unpersönlicheren Kommunikation, die uns eMails und SMS bescheren – langjährige Beziehungen mehr Herausforderung denn Selbstverständlichkeit.
Schreibende sind hier im Vorteil und haben tatsächlich großes Glück, denn sie kennen auch andere Arten von Freundschaften, die nichts erschüttern kann und in denen sie Halt, Nähe, Geborgenheit, Trost und Freude finden. Dazu zählt natürlich auf jeden Fall die innige Beziehung zur eigenen Bibliothek, aber auch manche Utensilien können zu unersetzlichen Vertrauten werden. Es kann eine Schreibmaschine sein, oder auch etwas ganz Unscheinbares.
Meine beiden engsten Freunde bekam ich im Alter von 11 Jahren.
Der erste ist ein Füllfederhalter der Marke Waterman aus der „Torsade“-Reihe, die kaum jemand noch kennt und über die selbst der Hersteller heute nur noch müde und selbstironisch schmunzelt. Die Goldfeder passte sofort zu meiner komplizierten und eigentlich überhaupt nicht füllertauglichen Handschrift, der Körper war leicht, schmal, perfekt für das sehr hastige Schreiben, und die sogenannten „langen“ Waterman-Patronen sicherten mir trotz der begrenzten Gesamtlänge von weniger als 12 cm einen Tintenvorrat für einen ganzen Tag – ja, ich schrieb schon damals sehr viel -. Von der ersten Sekunde an bestand zwischen uns eine einzigartige Verbindung. Er begleitete mich, wohin meine Reisen mich immer führen mochten, schrieb Prüfungen, lange Briefe, Romane und Sachbücher. Er bewahrte mich vor Heimweh, denn wenn er bei mir war, war ich zuhause. Im Gegenzug wachte ich über ihn und schütze ihn vor allen Fährnissen. Vor einigen Jahren und trotz aller Pflege jedoch brach eines Tages das Gewinde in der Kappe ab. Es dauerte Monate, bis ich endlich jemanden finden konnte, der bereit war, zu versuchen, ihn zu retten. Mir war bewusst, dass Materialwert und Reparaturkosten in keinerlei Verhältnis stehen konnten, aber es war mir ganz gleich, ich konnte und wollte mir nicht vorstellen, ohne ihn sein zu müssen. Doch dieser erste Zwischenfall war ein Warnsignal gewesen, auch wenn ich es nicht wahrhaben wollte. Kurze Zeit später begann der Tintenleiter zu lecken, die geliebte Feder kratzte, verhakte sich immer häufiger, bis sie gar nicht mehr schrieb. Dieser Füller mag kein besonders hochwertiges Schreibgerät gewesen sein, aber er war weit über dreißig Jahre lang mein bester Freund. Einige Jahre sind seitdem vergangen, doch der Abschied schmerzt noch immer. Diese Freundschaft war unersetzlich, und die Leere, die er hinterlassen hat, können andere Schreibgeräte nicht füllen. Ich schreibe heute wieder mit Einwegkugelschreibern – wie zu der Zeit, bevor es ihn gab. Er liegt nun geschützt in einer besonders schönen Schachtel … sozusagen für den Rest der Ewigkeit. Und er fehlt mir. Jeden Tag. So ist es eben, wenn gute Freunde sterben.
Ein weiterer treuer Begleiter, der ebenso lang an meiner Seite war, ist ein ganz durchschnittliches Holzlineal, das neben anstrengenden und unbequemen Trips in Reise-, Hand- und Aktentaschen einiges durchzustehen hatte. Es trug von einer unsanften Begegnung mit einer herunterfallenden Enzyklopädie, einem zu heftigen Zwiegespräch mit einem Reißverschluss, einem Machtkampf mit einem Cutter und durch die ungeschickte Spielerei eines Bekannten etliche Blessuren davon, die unser langes gemeinsames Leben widerspiegeln. Je mehr Jahre vergingen, umso hartnäckiger versuchte ich, die Tatsache zu verleugnen, dass es trotz all seinen Bemühungen seiner Aufgabe, einen annähernd geraden Strich zu ziehen, längst nicht mehr gewachsen war, und ich es gehen lassen sollte. Für seine letzte Ruhe wurde ein Platz gefunden, der der Schönheit seines mittlerweile patinierten Holzes entspricht.
Es stimmt also doch: Künstler denken anders, leben anders und trauern anders. Manchmal eben um einen kaputten Füller und ein abgenutztes Lineal.