Es gibt in meinem Blog unterschiedliche Artikel. Die meisten schreibe ich, weil es nun einmal zum heutigen Marketing gehört. Einige schreibe ich, um meine Arbeitsweise zu erläutern und so potentiellen Auftraggebern zu verdeutlichen, was sie von mir erwarten dürfen und was ich ihnen nicht anbiete; weitere, um inhaltliche Missverständnisse um bestimmte Begrifflichkeiten auszuräumen. Die wenigsten sind Ausdruck eines wirklichen Mitteilungsbedürfnisses – dieser Beitrag ist eine dieser Ausnahmen. Deshalb ist er deutlich länger als andere. Deshalb folgt er nicht der üblichen Struktur eines Blogposts. Manche werden ihn vielleicht provokativ, überheblich oder gar weltfremd finden. Damit kann ich sehr gut leben: Er ist schonungslos aufrichtig.
Veröffentlichte ich diesen Text als Abhandlung, trüge er den Untertitel: „Von der Schwierigkeit, in Deutschland Kunst zu leben“. Er ist in der Tat das Ergebnis eines über lange Zeit gewachsenen Unmuts, der über Frust weit hinaus geht.
In letzter Zeit bekam ich zufällig – durch Dokumentationen, eigene Recherchen und Bekanntschaften auf Twitter, die zu einem persönlichen Austausch per eMail führten – Einblick in die Selbst- und Fremdeinschätzung von Künstlern in anderen Ländern. Darunter waren japanische Kunsthandwerker und Kalligraphen, amerikanische LandArt-Künstler, englische Aquarellmaler und einige mehr. Alle haben eins gemein: Es sind ganz normale, unkomplizierte Menschen, ohne Posen, ohne sichtbare Exzentrizitäten. Sie kleiden sich durchschnittlich, tragen keinen flammenden Irokesenschnitt, fallen auf der Straße nicht auf. Ihre Kunst aber ist oft entwaffnend anrührend, virtuos und atemberaubend.
Das Statement dieser Künstler entwickelt sich auf natürliche, organische Weise und oft im Laufe der Zeit: aus Liebe zu ihrer Arbeit und dem aufrichtigen, leidenschaftlichen, aber zugleich durchaus unaufgeregten und bescheidenen Bedürfnis, ihre Freude, ihre Begeisterung, ihr Anliegen zu teilen, oder aus den Antworten, die sie Menschen geben, die sich für ihre Werke interessieren und sie nach ihren Motivationen und Inspirationen fragen. Es ist der Versuch, das Wesen ihrer Arbeit und ihres Ansatzes im Wort zu artikulieren, der sie zu dem führt, was andere als Statement auffassen. Die Bewusstwerdung eines Statements entsteht durch den Dialog – während, aber vor allem nach dem Schaffensprozess und als Folge der Rezeption. Diese Natürlichkeit tut dem wirtschaftlichen Erfolg keinen Abbruch.
Hier in Deutschland scheint das Gegenteil der Regelfall zu sein. Schnell bekommt man den Eindruck, dass erst eine Positionierung da sein muss, bevor sich jemand als Künstler fühlen darf und sich zu einem solchen erklärt, und dass erst in einem dritten Schritt die Arbeit überhaupt geschieht, als könne Kunst nicht ohne die theoretische Grundlage abstrakter Prinzipien entstehen. Je esoterischer das Statement klingt und je selbstbewusster und ichbezogener der Künstler wirkt, um so besser. Künstler ohne Eigenarten und Abnormalitäten müssen entweder alteingesessen sein, oder sie werden nicht ernstgenommen.
Mich stört die Vorstellung sehr, dass ich vermutlich mehr nach meinem Statement als nach meiner Arbeit beurteilt werde. Ich möchte nicht das Bedürfnis anderer bedienen, in mir etwas Exotisches zu sehen. Ich tue das, was mir entspricht, aber ich muss nicht deshalb etwas Besonderes sein oder sein wollen. Meine Texte dienen dazu, Gegenstände, Landschaften, Augenblicke einzufangen, die ich schön finde. Es sind Impressionen, die ich festhalten, bewahren möchte, weil sie eine Schönheit in sich tragen, die mich beeindruckt, die flüchtig ist, von der ich mich aber nicht verabschieden möchte. Ich verspüre den Drang, sie zu „retten“, ihre Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit schützend zu umgeben, weil sie kleine Kostbarkeiten sind, die für immer zu verlieren zu schade wäre.
Deshalb rede ich von Momentaufnahmen, Porträts oder Aufzeichnungen. Dahinter steckt keine wie auch immer geartete intellektuelle Philosophie, kein höherer Sinn und keine selbstverliebte überhöhte Überzeugung. Ebenso bilde ich mir nicht ein, etwas „zu sagen“ zu haben – geschweige denn „kreativ“ zu sein. Wenn ich eine Geschichte erzähle, tue ich es lediglich als Zuschauer, als Photograph. Ich kreiere nicht, ich beschreibe. Ich unterwerfe mich dem, was ich sehe, rieche, höre, spüre. Zufällig ist mein Werkzeug dafür das Wort; Layout und Papier sind der Rahmen und die Beleuchtung dieser „Gemälde“.
Mit mir haben meine Texte im Grunde nur soweit zu tun, als dass ich dem Leser meine Augen, Nase, Ohren, Finger leihe. Ich beobachte, sehe schöne Dinge und halte sie um ihretwillen fest. Ich habe dabei nicht das Bedürfnis, mich auszudrücken, mich mitzuteilen oder, wie ich es in manchen Artikeln über das Künstlertum ärgerlicherweise immer wieder lese, etwas zu „offenbaren“, was „aus meiner Seele“ käme, mich zu „entblößen“, etwas von mir preiszugeben. Schreiben ist für mich kein „intimer Akt“, es ist eine Technik, ein Mittel, ein Weg. Auch deshalb sehe ich mich nicht als Schriftstellerin, Dichterin oder Autorin, wie einige es unbedingt ausdrücken wollen. Mit solchen Begriffen kann ich nichts anfangen.
Natur, Zufall, Licht, Schatten, Farben, Klänge und Gerüche erschaffen Bilder und Geschichten, die zu schön, zu zart, zu überwältigend, zu kostbar sind, um sie sich einfach auflösen zu lassen – auch wenn der Versuch, sie festzuhalten, immer nur unzulänglich und unperfekt sein kann. Ich bin nur das Werkzeug der schönen Dinge, die uns – zu oft unbemerkt, zu oft übersehen – umgeben, und verfolge keine andere Absicht, als dazu beizutragen, sie zu zeigen und zu bewahren, damit ihre Schönheit nicht ganz umsonst war.
In Deutschland geht Normalität in der Begegnung mit einem Künstler oft mit Enttäuschung einher. Die Menschen erwarten seltsame, überspannte Wesen mit unerklärlicher Kleidung, außergewöhnlichen Frisuren, unberechenbarem Auftreten, sozialen Verhaltensauffälligkeiten oder anderen Abnormitäten irgendwelcher Art. Künstler sind in der allgemeinen Vorstellung sonderbar, rüpelhaft, zerstreut, unordentlich, chaotisch – als müssten Andersartigkeit und wie auch immer zur Schau getragene Genialität den Beweis dafür erbringen, dass man es tatsächlich mit einem Künstler, und vor allem mit einem glaubwürdigen Künstler zu tun hat.
Mir scheint, dass gerade hier bei uns solchen Erwartungen nur zu gern entsprochen wird. Ich weiß nicht, ob die Künstler es bewusst oder unbewusst als Bringschuld empfinden, sich dem gesellschaftlichen Druck zu beugen, oder diese Auffassung von vornherein teilen und daher auch von sich selbst ein bestimmtes Bild haben, das sie wirklich gerne leben. Die Begründung einer wirtschaftlichen Notwendigkeit und einer Marketingstrategie bzw. der Unumgänglichkeit einer einzigartigen und auffälligen Positionierung als Markenbildung in Zeiten permanenter Vergleichbarkeit und internetgenerierter Konkurrenz halte ich eher für eine willkommene Ausrede, würde sie allerdings nicht gelten lassen. Künstler wie Sophie Ploeg zeigen zur Genüge, dass gute Arbeit und erfolgreiches Marketing nicht mit verrückten Posen einhergehen müssen.
Auch dass einige Künstler in der Vergangenheit dafür berühmt waren, anders zu leben und zu sein, scheint mir eher irrelevant und konstruiert. Viele große Künstler und Schriftsteller waren einfach nur fleißige Arbeiter – man denke nur an den in höchstem Maße disziplinierten Thomas Mann oder den unglücklichen und unscheinbaren Bonnard. Tatsächlich wären diejenigen, die durch einen unkonventionellen und betont auffälligen Lebensstil auf sich aufmerksam gemacht haben, vermutlich auch dann extrovertierte Paradiesvögel geworden, wenn sie sich für eine Laufbahn als Bäcker oder Physiker entschieden hätten. Viele sehr gute Schauspieler führen ein solides und biederes, unaufregendes Familienleben; schnelle Autos, Drogen, Alkohol und Prostituierte gehören nicht schicksalhaft zur Berufsbeschreibung, und Exzentrizitäten sollten genauso wenig mit dem Wesen von Künstlertum verwechselt werden.
Die einzige und gemeinsame psychische Auffälligkeit von großen Künstlern ist ihre Besessenheit in ihrem Bemühen, ihre Arbeit so gut wie möglich zu machen, in ihrem Willen, ihre Methoden, ihre Techniken, ihr Handwerk also, dafür unermüdlich zu perfektionieren, in der Unablässigkeit ihrer ästhetischen Suche und in der ständigen Hinterfragung ihrer Ansätze.
Selbstbilder, die nach außen getragen werden, haben Konsequenzen. Die Verachtung und der mitunter blanke Hass, der Künstlern hierzulande in den wohlgesetzten Foren berühmter Nachrichtenmagazine entgegenschlagen, ist zweifelsohne Ausdruck eines typisch deutschen Konformismus’ und Materialismus’ und einer zugegebenermaßen deprimierenden MINT- und Technikhörigkeit, die unbestritten immer deutlicher und mit zunehmend verletzendem Vokabular propagiert werden – darüber gäbe es in dem Vergleich mit anderen Ländern wie Japan, England, Italien, Frankreich, Brasilien, den USA und dem afrikanischen Kontinent ebenfalls sehr, sehr viel zu sagen, und nichts davon wäre für Deutschland auch nur annähernd schmeichelhaft. Es ist nicht zu beschönigen. Dieses negative Bild ist aber auch zu einem Teil der Widerhall einer völlig unnötigen Oberflächlichkeit und einer krampfhaft pseudo-intellektuell unzugänglichen Selbstdarstellung, die gerade dem Auftrag der Kunst diametral entgegenstehen und ihr Wesen verfälschen, ja vergessen lassen.
Etwas mehr Demut und Normalität würde der deutschen Kunstwelt nur gut tun – und sie vor allem nach einem langen Irrweg zu den Wurzeln dessen zurückführen, was Kunst ist: der Schutz und Ausdruck des Schönen. Kunst ist Suche und Arbeit. Kleine, unaufhörliche, unsichtbare, unscheinbare, anstrengende und wenig glamouröse Arbeit. Um der Sache und der Leidenschaft willen, nicht um der Person willen. Eine ganz normale Arbeit.