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Das Geschenk des Abends

An Orten des Sommers gehört der Abend nicht mehr der Natur, sondern den Menschen.

Er beginnt früh, lange bevor die Sonne am Horizont verschwindet, lange bevor sich der Himmel in feurigem Orange färbt, lange bevor die Hitze des Tages erlischt, und endet erst mit der Dunkelheit. Schatten, Staub und Brunnen spielen nun keine Rolle mehr. Der warme pudrige Duft von Teig, der aus Pizzerien entweicht, gesellt sich zu den röstigen Noten von gebratenem Fleisch, gegrillter Fisch und Zitrone verströmen allenthalben anregend salzig-leichte Luft, die entspannt und lässig in die schon tieferen goldenen Strahlen perlt. Besteck und Gläser klirren diskret und unbeschwert in den weich-warmen schmalen Straßen, die sich immer mehr füllen. Vorbei sind die einseitigen Fluten, die am Morgen hastig und forsch Promenade und Strand eroberten. Nun ist die ruhige Zeit der kleinen Plätze, Winkel und Gassen gekommen, der winzigen Terrassen, die bescheiden und doch bestimmt den Bürgersteig verwandeln.
Es sind glückliche, zwanglose und leise Stunden, ein Abschluss, der das scharfe Licht und die unbändige Fülle des Tages vergessen lässt. Es ist nichts mehr zu tun, als sich zurückzulehnen, zu genießen, gepflegt zu sitzen, die Gedanken versonnen schweifen zu lassen. Langsam erholen sich Körper und Geist, Schweigen legt sich über Erlebnisse, die im milden Schleier angenehmer Müdigkeit bereits zu Erinnerungen verblassen.

Ob für Touristen oder Einheimische – an Orten des Sommers ist der Abend ein Ziel, das nicht angestrebt werden muss, das ohne Verdienst und Gegenleistung jedem und allen geschenkt wird.
Die Nacht wird der Jugend vorbehalten sein, ihren Ritualen, ihren Sprachen, ihrer Musik, ihren knatternden Rollern, dem demonstrativ übermütigen Brummen getunter Motoren.
Doch jetzt, da der Nachmittag sich schon verabschiedet hat und sie noch fern erscheint, ist die Straße der einzige Ort, an dem es sich zu sein lohnt. Pläne und Vergangenheit sind noch nicht morgen. In diesem magischen Raum ohne Warten und Erwartungen ist das Leben einfach nur da, frei von Sorgen und Ansprüchen, schlicht und aufrichtig, echt und überwältigend glücklich. Das genügt.