Ich kann nicht sagen, wie es anderen geht, aber ich gebe nicht gerne zu, dass ich schreibe.
Vielleicht liegt es daran, dass ich nie geglaubt habe, dass irgendjemand auf diesem Planeten auf meine Texte wartet. Ich mache mir über das, was ich schreibe, keine Illusionen. Wenn ich Maler wäre, würde ich ganz sicher nicht zu denjenigen gehören, die mit der Mappe unter dem Arm von Galerie zu Galerie gehen und sich am Abend nach etlichen Stunden erfolglosen Antichambrierens darüber ärgern, dass ihr offensichtliches Talent nicht verstanden oder angemessen gewürdigt wird. Ich schreibe, seit ich zurückdenken kann – genauer gesagt: seit ich lesen kann. Ich betrachte es nicht als besondere Leistung. Ich wüsste nicht, weshalb ich stolz darauf sein sollte. Ich kann schließlich einfach nicht anders, es ist nicht mein Verdienst. Ist es ein Bedürfnis? Gar eine Sucht? Es mag alles sein, aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass mich die klischeehafte Frage je beschäftigt oder interessiert hätte. Ich schreibe, weil es für mich das Natürlichste auf der Welt ist. Es ist nichts dabei.
Zu erzählen, dass ich schreibe, empfinde ich dagegen bei weitem nicht als so selbstverständlich. Bevor ich dieses Blog eröffnete, wussten nur sehr enge Freunde, womit ich täglich so viele Stunden am Schreibtisch verbringe. Und selbst heute fällt mir der erste Schritt, das erste Geständnis, noch immer sehr schwer.
Möglicherweise hat dies ein wenig mit der Art zu tun, wie Schreibende in unserer Gesellschaft betrachtet werden.
In der Vorstellung der meisten ist Schreiben ohnehin nur ein Hobby: wie Kurse an der Volkshochschule, Töpfern in der Toskana oder Briefmarkensammeln. Das Schreiben hat einfach kein gutes Image. Von einem Stellenwert ist nicht einmal zu reden. Ernst zu nehmen ist es nicht – schreiben doch Rockstars der Reihe nach ihre Memoiren und Pop-Sternchen Kinderbücher zuhauf. Wer nichts Besseres kann, sich langweilt oder sich profilieren will oder muss, schreibt einfach irgendetwas. Schreiben ist peinlich.
Außerdem ist Schreiben natürlich unseriös. Es ist ganz sicher keine Tätigkeit, von der ein Vermieter hören möchte, dass sein Mieter sie hauptberuflich ausübt, und bei einem Vorstellungsgespräch für eine neue Wohnung empfiehlt es sich, die Fakten zumindest so gut zu umschreiben wie nur möglich, ja sich in eigener Sache geradezu um den Verstand zu texten, bis man einen einigermaßen akzeptablen Eindruck macht.
Paradoxerweise kann Schreiben umgekehrt auch die unerklärlichste, heftigste, unreflektierteste und unbegründeteste Bewunderung auslösen. Plötzlich schauen einen große Augen an, als hätten sie den Weihnachtsmann oder Brad Pitt persönlich gesehen, Gesichter erstarren in Ehrfurcht, wie sie es sonst höchstens vor der Queen tun würden, unverhohlene voyeuristische Neugier übt sich in enthüllungsgierigen Blicken, die einen verblüfft und verunsichert zurücklassen, und unwillkürlich ertappt sich der Schreibende dabei, wie er mit abwehrenden Handbewegungen und mit der ganzen Kraft zurückrudernd, die seine nicht immer gestählten Ärmchen hergeben, verlegen zu stammeln versucht, dass es nichts Besonderes ist und man das alles nicht überbewerten sollte. Um die Dinge auf ein realistisches Maß zurückzubringen, bleibt ihm oft nichts anderes übrig, als das eigene Tun in der Tat als unbedeutende Freizeitbeschäftigung darzustellen.
Die Wahrheit mag dazwischen liegen. Ich möchte es ehrlich gesagt gar nicht wissen.
Wenn ich aus irgendeinem Grund zugeben muss, dass ich schreibe, oder schlimmer noch unvermittelt darauf angesprochen werde, suche ich zuallererst in Gedanken nach dem sprichwörtlichen Loch im Boden, das sich bitte auftun möge, um mich zu verschlingen. Ein Blitzschlag aus heiterem Himmel, der für Ablenkung sorgen könnte, wäre auch schon sehr hilfreich. Auf jeden Fall habe ich immer das aufrichtige Bedürfnis, mich in irgendeiner Form für das zu entschuldigen, was ich tue.
Gänzlich aus der Bahn wirft mich die Frage: „Ach, Sie sind also Schriftstellerin?“ In diesem Fall bleibt nur eine einzige Rettung: Es gilt nun, die Aufmerksamkeit auf einen vorbeifliegenden Vogel, ein nicht vorhandenes seltsames Geräusch oder ein beliebiges erfundenes Ereignis zu lenken, bis die Frage vergessen wird oder sich eine Möglichkeit ergeben hat, den Tatort unauffällig zu verlassen und sich in Sicherheit zu bringen.
In der Intimität der eigenen vier Wände, in dem vertrauten Raum zwischen Papier und Stift, zwischen Hand und Tastatur, gibt es nichts Einfacheres, Selbstverständlicheres und Erfüllenderes als das Schreiben. In der Öffentlichkeit ist es ein wenig anders. Mitunter fällt es leichter, sich ganz und gar als Versager zu positionieren, der hie und da „nur so“ ein bisschen von allem tut und relativ ziellos herumjobbt. Das ist schließlich etwas, was jeder kennt, weniger ungewöhnlich anmutet und höchstens mit einem beiläufigen Schulterzucken quittiert wird.
Letztlich ist es aber immer am schönsten, wenn ich gar nicht erst gestehen muss.